Vom Spielcasino zum Weltkrieg – Band 15 der „Gesammelten Romane und Novellen“ Robert Krafts ist erschienen!
Rezension von Henning Herrmann-Trentepohl
Wieder einmal versammeln die Herausgeber Thomas Braatz und Walter Mayrhofer verschiedenste Texte Robert Krafts, die seit dem Erstdruck in heute oft nur schwer auffindbaren Zeitungen nie wieder gedruckt worden sind. Es sind bis auf eine Ausnahme typische Kraft-Geschichten voll überbordender Phantasie – und mehr als nur einem Schuss Weisheit.
Dabei sind die Geschichten durchaus von unterschiedlichem Charakter. Der mit Abstand umfangreichste, aus drei Erzählungen bestehende Text „Die Roulette“ unterläuft den realistischen Anspruch, den er im Untertitel für sich in Anspruch nimmt, immer wieder mit Kolportageelementen, aber auch mit mal mehr, mal weniger moralisierenden Ausführungen. Immerhin konnte der Autor hier aber eigene Erfahrungen einfließen lassen, lebte er doch eine Weile selbst in Monaco, nachdem ihn eine Erbschaft für kurze Zeit aus finanzieller Not erlöst hatte.
„In den Goldfeldern des Klondyke“ ist dagegen eine recht gewalttätige Abenteuergeschichte mit Schauerelementen. Thematisch sind beide Texte allerdings durchaus miteinander verbunden: kann doch auch die in vieler Hinsicht verhängnisvolle Reise zum Klondyke erst losgehen, nachdem man das Reisegeld im Lotto gewonnen hat!
Bemerkenswert sind in diesem Band aber auch die Geschichten, die im engeren Sinne mit deutscher Geschichte zu tun haben: ähneln sie sich doch darin, dass sie alles Patriotische, gar Nationalistische eher herabstimmen, ja mitunter sogar ironisieren. „Bismarck, der Sultan von Berlin“ ist nicht der große Staatsmann, sondern eine Chimäre im Kopf eines arabischen Scheichs. Und die „Kriegskatze“ ist zu Anfang der Geschichte noch ein schöner weißer Kater namens Pax, bevor er dann durch ein Feuer in ein halbverbranntes schwarzes Wesen verwandelt wird: eine merkwürdig treffende Allegorie auf das, was dann nach Robert Krafts frühem Tod 1916 in und durch Deutschland so alles geschehen sollte.
Die Herausgeber haben diesmal auch einen nicht-fiktionalen Text aufgenommen, nämlich die „Traumapotheke“. Diese Ausführungen über das Phänomen des ‚luziden Träumens‘ lagen Kraft immerhin so sehr am Herzen, dass er sie 1899 unter Pseudonym im Selbstverlag veröffentlichte. Bedenkt man, dass erst in den letzten Jahren dieses bemerkenswerte psychologische Phänomen in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gelangt ist, kann man durchaus von einer kleinen Pionierleistung Krafts sprechen, der sich, da er kein Studium absolviert hatte, seinem Thema vollkommen autodidaktisch annäherte. Auch hier bewahrheitet sich wieder einmal des großen Mynonas Ausspruch, dass man nämlich aus Robert Krafts Büchern „gar kein so dünnes Bändchen merkwürdigster Beobachtungen und Charakteristiken“ zusammenstellen könnte – „und alles durchdrungen von einem in allen Lebenslagen tüchtig aufrecht erhaltenden Humor“.
Ein umfangreiches Nachwort von Franziska Meifert beschließt den in jeder Hinsicht gelungenen Band. Auch optisch ist das Buch eine Augenweide: besonders hervorgehoben sei das wieder sehr umfangreiche, auf besonderem Papier aufwändig gedruckte Bildmaterial mit Abbildungen der Erstdrucke und Zeichnungen bzw. Fotografien der Handlungsschauplätze.
Der 16. Band wurde bereits angekündigt und soll den Titel „Die Arbeiten des Herkules“ tragen. So dürfen wir Leser hoffen, dass die Herausgeber (und ihre Mitarbeiter) es Herkules gleichtun und nicht unter den Anforderungen zusammenbrechen, so dass in den nächsten Jahren noch viele weitere Texte Robert Krafts der Vergessenheit entrissen werden.
Erschienen in Karl May in Leipzig, Nr 123, Dezember 2020, S. 21-22