Walter Henle (1920–2016), Kraftforscher der ersten Stunde
Walter Henle um [2014]
von Walter Henle [1988]
Das Foto erhielt ich dankenswerter Weise
von seinen Söhnen zur Verfügung gestellt.
Vom Lederstrumpf zum Winnetou [1981]
Robert Kraft – Eine kommentierte Bibliographie
von Walter Henle [1988]
Unter den Augen der Sphinx
Leben und Werk Robert Krafts zwischen Fiktion und Wirklichkeit
von Walter Henle und Peter Richter [2005]
Mitte der 90er Jahre lernte ich Walter Henle kennen. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie der Kontakt zustande kam. Wahrscheinlich wurde ich durch Heinz-Jürgen Ehrig auf ihn aufmerksam. Mit Heinz-Jürgen teilte ich nicht nur das SF-Hobby, sondern wir interessierten uns beide für Robert Kraft, das gleiche galt auch für Walter Henle.
Einiges über das Leben von Walter Henle erfährt man aus einem Brief, den er am 25. Juni 1972 an Heinz-Jürgen Ehrig schickte:
Sobald das Sammeln zu einer Leidenschaft wird und auch jede finanzielle Substanz aufzehrt, wird es äußerst gefährlich. Ich habe sehr spät, etwa 1958/59 – Eintritt in den SFCD (Science Fiction Club Deutschland) – angefangen. Dadurch, daß ich relativ spät — mit 32 Jahren — heiratete, meinen Beruf noch ausbauen mußte, total ausgebombt war und aus der russischen Kriegsgefangenschaft als Schwerkranker und 100 %iger Invalide mittels Krankentransport heimkam und vor dem absoluten Nichts stand, war ein nicht mehr zu überschauender Nachholbedarf gegeben. Bevor ich einen Groschen in ein Buch investierte, drehte ich ihn hundertmal um. Kurz nach meiner Heirat 1953 kam mein ältester Sohn, jetzt 18 Jahre alt, und 8 Jahre später mein Jüngster, jetzt 10 Jahre alt, auf die Welt. Eine Familie kostet viel. Diese Investitionen machen sich aber bezahlt. Ich möchte sie – Familie und Investitionen - niemals mehr missen. Dies bedingt bezüglich der eigenen Neigungen — Literatur und Büchersammeln — den Sinn für eine klare Konzeption aus der Sicht der real verfügbaren Masse und Straffung des optimal Möglichen, um sich in der breiten Flut des täglichen Angebotes nicht zu verlieren. Dabei bin ich überzeugt, daß ich das absolut Optimale, auf meine beschränkten finanziellen Möglichkeiten bezogen, nie erreichen werde, denn wie kann ich wissen, ob meine Kaufentscheidungen vom Gesichtswinkel der verschiedensten literarischen Überlegungen die richtige ist.
Walter Henle hatte wie jeder Sammler, der nicht begütert ist, die gleichen Probleme: Geld, Platz und Zeit zum Ausbau der Leidenschaft sind letztlich nie genug. Wie meist wurde sie auch in seinem Fall bereits in jungen Jahren geweckt. Als Jugendlicher liest er diverse Lieferungshefte und Bücher: „Robert Kraft und Walter Kabel haben mich, seitdem ich die Werke dieser Autoren in den 30er Jahren kennenlernte, als heutiger Sammler brennend interessiert“, schreibt er weiter an Ehrig.
Nach dem Weltkrieg flammt das Interesse an Robert Kraft wieder auf und verlöscht nicht mehr. Er versucht, alles Mögliche über den Autor zu erfahren und sammelt seine Texte. So steht er mit Roland Schmid (Karl-May-Verlag), Heinz-Jürgen Ehrig, Walter Stein, Chris Dohr, Prof. Bernd Steinbrink, Prof. Manfred Nagl, Alfred Butschke und Peter Richter in Kontakt. Von Roland Schmid erhält er über Walter Stein seltene Texte in Kopie und vertreibt diese unter Sammlern. Er kopiert die Texte und bindet sie.
Sein Engagement geht weiter. 1981 veröffentlicht er im Abenteuer-Almanach „Vom Lederstrumpf zum Winnetou“ einen ersten Versuch einer Robert-Kraft-Bibliographie. Mitte der 80er unternimmt er zusammen mit Chris Dohr und Peter Richter die ersten Schritte zu einer Robert-Kraft-Biographie. Über Alfred Butschke bekommt er Kontakt zu Charlotte Barenthin, der jüngsten Tochter von Robert Kraft. Sie war die letzte noch lebende Person aus Krafts direkter Umgebung. Von Charlotte erfährt er einiges über ihren Vater. Darauf aufbauend recherchieren und schreiben er und seine Mitstreiter diverse inländische und ausländische Archive an.
1988 bringt er „Robert Kraft – Eine kommentierte Bibliographie“ im Verlag Munniksma, Amsterdam/Gießen, heraus (Das Phantasmaskop Band 4). Die 83 Seiten haben es in sich. Die schmale Broschüre enthält ein alphabetisches Titelregister, die eigentliche Bibliographie (ca. 45 Seiten), „Pseudonyme, Kryptonyme und Anagramme“, ein Auflagenregister, eine Titelbibliographie noch nicht gesicherter Autorschaft, Übersetzungen von Werken Krafts in andere Sprachen, kleine Spezialbeiträge zu „Die Mysterien des Magus“ und „Viviana, die Erzählungen eines Namenlosen“ usw. usf., nicht zu vergessen zwei nummerierte Leerseiten für sachliche Ergänzungen – eine gehörige Packung Kraft-Futter, die die Latte für mich schön hoch legte. Mich daran in insgesamt drei Auflagen messend, blieb mir schließlich nichts anderes übrig, als der (zukünftig elektronisch zu ergänzenden) jüngsten und endgültigen Fassung meiner bibliografischen Bemühungen weit über 1000 Seiten einzuräumen. Und dennoch: Ich kenne einen renommierten Kraftologen, der zur ersten schnellen Info noch immer „den Henle“ anblättert, statt die mehreren Kilo meiner Bemühungen aus dem Regal zu wuchten – dafür habe ich volles Verständnis ...
Ab Mitte der 90er Jahre hatte ich regelmäßigen Briefverkehr mit Walter Henle. Wie er, wollte ich den zu Unrecht so wenig bekannten Leipziger Autor Robert Kraft stärker in das Bewusstsein der Leser rücken. So war Henles Kraft-Bibliographie Anregung und Vorlage für mich. Mit dem Wissen, den neuen technischen und zunehmenden Möglichkeiten aufwendigen Farbdrucks wollte ich eine korrigierte, ergänzte und immer noch stärker bebilderte Bibliographie herausbringen.
Erst einmal besuchte ich ihn Anfang 1998 und nahm seine Sammlung auf. Er zeigte mir sein „Kraft-Zimmer“ und schenkte mir ein paar Fotoabzüge mit Kraft-Bezug. Er war eben nicht nur Sammler, sondern auch engagierter Akteur in Sachen Kraft, was mir besonders imponierte.
Im selben Jahr erschien die erste, noch schwarz-weiße Ausgabe meiner Kraft-Bibliographie und bald danach startete die Edition Braatz & Mayrhofer die Reihe „Robert Kraft. Gesammelte Romane und Novellen“. Henle gehörte zu den treuen Abonnenten und Lesern bis zu seinem Tod.
Das Ergebnis seiner fruchtbaren Zusammenarbeit mit Peter Richter und sicherlich der Höhepunkt seiner Forschung war das Erscheinen der Robert-Kraft-Biographie 2005 in unserer Edition. Lange schon vergriffen, soll sie 2022 in überarbeiteter Version erscheinen.
Hundert Jahre nach dem Tod seines Lieblingsautors Robert Kraft verstarb Walter Henle nach einem langen Leben am 24. Juli 2016 in Trier.
Am 19.5.2020 wäre er 100 Jahre alt geworden.
Thomas Braatz
Einiges über das Leben von Walter Henle erfährt man aus einem Brief, den er am 25. Juni 1972 an Heinz-Jürgen Ehrig schickte:
Sobald das Sammeln zu einer Leidenschaft wird und auch jede finanzielle Substanz aufzehrt, wird es äußerst gefährlich. Ich habe sehr spät, etwa 1958/59 – Eintritt in den SFCD (Science Fiction Club Deutschland) – angefangen. Dadurch, daß ich relativ spät — mit 32 Jahren — heiratete, meinen Beruf noch ausbauen mußte, total ausgebombt war und aus der russischen Kriegsgefangenschaft als Schwerkranker und 100 %iger Invalide mittels Krankentransport heimkam und vor dem absoluten Nichts stand, war ein nicht mehr zu überschauender Nachholbedarf gegeben. Bevor ich einen Groschen in ein Buch investierte, drehte ich ihn hundertmal um. Kurz nach meiner Heirat 1953 kam mein ältester Sohn, jetzt 18 Jahre alt, und 8 Jahre später mein Jüngster, jetzt 10 Jahre alt, auf die Welt. Eine Familie kostet viel. Diese Investitionen machen sich aber bezahlt. Ich möchte sie – Familie und Investitionen - niemals mehr missen. Dies bedingt bezüglich der eigenen Neigungen — Literatur und Büchersammeln — den Sinn für eine klare Konzeption aus der Sicht der real verfügbaren Masse und Straffung des optimal Möglichen, um sich in der breiten Flut des täglichen Angebotes nicht zu verlieren. Dabei bin ich überzeugt, daß ich das absolut Optimale, auf meine beschränkten finanziellen Möglichkeiten bezogen, nie erreichen werde, denn wie kann ich wissen, ob meine Kaufentscheidungen vom Gesichtswinkel der verschiedensten literarischen Überlegungen die richtige ist.
Walter Henle hatte wie jeder Sammler, der nicht begütert ist, die gleichen Probleme: Geld, Platz und Zeit zum Ausbau der Leidenschaft sind letztlich nie genug. Wie meist wurde sie auch in seinem Fall bereits in jungen Jahren geweckt. Als Jugendlicher liest er diverse Lieferungshefte und Bücher: „Robert Kraft und Walter Kabel haben mich, seitdem ich die Werke dieser Autoren in den 30er Jahren kennenlernte, als heutiger Sammler brennend interessiert“, schreibt er weiter an Ehrig.
Nach dem Weltkrieg flammt das Interesse an Robert Kraft wieder auf und verlöscht nicht mehr. Er versucht, alles Mögliche über den Autor zu erfahren und sammelt seine Texte. So steht er mit Roland Schmid (Karl-May-Verlag), Heinz-Jürgen Ehrig, Walter Stein, Chris Dohr, Prof. Bernd Steinbrink, Prof. Manfred Nagl, Alfred Butschke und Peter Richter in Kontakt. Von Roland Schmid erhält er über Walter Stein seltene Texte in Kopie und vertreibt diese unter Sammlern. Er kopiert die Texte und bindet sie.
Sein Engagement geht weiter. 1981 veröffentlicht er im Abenteuer-Almanach „Vom Lederstrumpf zum Winnetou“ einen ersten Versuch einer Robert-Kraft-Bibliographie. Mitte der 80er unternimmt er zusammen mit Chris Dohr und Peter Richter die ersten Schritte zu einer Robert-Kraft-Biographie. Über Alfred Butschke bekommt er Kontakt zu Charlotte Barenthin, der jüngsten Tochter von Robert Kraft. Sie war die letzte noch lebende Person aus Krafts direkter Umgebung. Von Charlotte erfährt er einiges über ihren Vater. Darauf aufbauend recherchieren und schreiben er und seine Mitstreiter diverse inländische und ausländische Archive an.
1988 bringt er „Robert Kraft – Eine kommentierte Bibliographie“ im Verlag Munniksma, Amsterdam/Gießen, heraus (Das Phantasmaskop Band 4). Die 83 Seiten haben es in sich. Die schmale Broschüre enthält ein alphabetisches Titelregister, die eigentliche Bibliographie (ca. 45 Seiten), „Pseudonyme, Kryptonyme und Anagramme“, ein Auflagenregister, eine Titelbibliographie noch nicht gesicherter Autorschaft, Übersetzungen von Werken Krafts in andere Sprachen, kleine Spezialbeiträge zu „Die Mysterien des Magus“ und „Viviana, die Erzählungen eines Namenlosen“ usw. usf., nicht zu vergessen zwei nummerierte Leerseiten für sachliche Ergänzungen – eine gehörige Packung Kraft-Futter, die die Latte für mich schön hoch legte. Mich daran in insgesamt drei Auflagen messend, blieb mir schließlich nichts anderes übrig, als der (zukünftig elektronisch zu ergänzenden) jüngsten und endgültigen Fassung meiner bibliografischen Bemühungen weit über 1000 Seiten einzuräumen. Und dennoch: Ich kenne einen renommierten Kraftologen, der zur ersten schnellen Info noch immer „den Henle“ anblättert, statt die mehreren Kilo meiner Bemühungen aus dem Regal zu wuchten – dafür habe ich volles Verständnis ...
Ab Mitte der 90er Jahre hatte ich regelmäßigen Briefverkehr mit Walter Henle. Wie er, wollte ich den zu Unrecht so wenig bekannten Leipziger Autor Robert Kraft stärker in das Bewusstsein der Leser rücken. So war Henles Kraft-Bibliographie Anregung und Vorlage für mich. Mit dem Wissen, den neuen technischen und zunehmenden Möglichkeiten aufwendigen Farbdrucks wollte ich eine korrigierte, ergänzte und immer noch stärker bebilderte Bibliographie herausbringen.
Erst einmal besuchte ich ihn Anfang 1998 und nahm seine Sammlung auf. Er zeigte mir sein „Kraft-Zimmer“ und schenkte mir ein paar Fotoabzüge mit Kraft-Bezug. Er war eben nicht nur Sammler, sondern auch engagierter Akteur in Sachen Kraft, was mir besonders imponierte.
Im selben Jahr erschien die erste, noch schwarz-weiße Ausgabe meiner Kraft-Bibliographie und bald danach startete die Edition Braatz & Mayrhofer die Reihe „Robert Kraft. Gesammelte Romane und Novellen“. Henle gehörte zu den treuen Abonnenten und Lesern bis zu seinem Tod.
Das Ergebnis seiner fruchtbaren Zusammenarbeit mit Peter Richter und sicherlich der Höhepunkt seiner Forschung war das Erscheinen der Robert-Kraft-Biographie 2005 in unserer Edition. Lange schon vergriffen, soll sie 2022 in überarbeiteter Version erscheinen.
Hundert Jahre nach dem Tod seines Lieblingsautors Robert Kraft verstarb Walter Henle nach einem langen Leben am 24. Juli 2016 in Trier.
Am 19.5.2020 wäre er 100 Jahre alt geworden.
Thomas Braatz