Herkules und Alchemie – Band 16 der „Gesammelten Romane und Novellen“ Robert Krafts ist erschienen!
Rezension von Henning Herrmann-Trentepohl
Wieder einmal versammeln die Herausgeber Thomas Braatz und Walter Mayrhofer verschiedenste Texte Robert Krafts (darunter auch ein Brief), die seit dem Erstdruck in heute oft nur schwer auffindbaren Zeitungen nie wieder gedruckt worden sind. Es sind bis auf eine Ausnahme typische Kraft-Geschichten voll überbordender Phantasie – und mit durchaus mehr als nur einem Schuss Weisheit.
Die im engeren Sinne literarischen Texte sind von durchaus unterschiedlichem Charakter. Darunter finden sich etwa eher derbe Humoresken wie „Warum Bob nicht heiratete“ oder auch „Diana mit dem Goldregen“. Der Band enthält auch recht makabre Texte wie „Der Sachse auf dem Schlachtfeld“ oder spannende Kolportage im eigentlichen Sinne wie etwa „Die Dame ohne Erinnerung“. Zu den „Ephemera“ gehören definitiv die „Papiertüte“ und überhaupt die kurzen Stücke zu historischen Persönlichkeiten wie Cornelius Vanderbilt und John D. Rockefeller, die den Band beschließen und die beide sogar fast wortgleiche formulierte Einleitungen aufweisen.
Interessanter sind da natürlich die persönlicheren Texte, die dem Leser etwas über die spirituellen Interessen und Bedürfnisse Krafts verraten. Ein ‚Essay‘ über Theosophie und Reinkarnation mündet schließlich in ein authentisch klingendes Bekenntnis zum Christentum in seiner ganzen Essenz, nämlich der bedingungslosen Unterstützung des Nächsten in seiner Not.
In Anbetracht der wenigen biografischen Zeugnisse sind solche Bekenntnisse natürlich von großem Wert. Schon im vorangegangenen 16. Band hatten die Herausgeber ja den Fokus erweitert und auch Nicht-Fiktionales aufgenommen!
Insgesamt muss man doch immer wieder darüber staunen, was sich der Autodidakt Kraft in seinem doch sicherlich von Entbehrungen vieler Art reichen Leben so alles nicht nur an schierem Wissen, sondern sogar an Weisheit erworben hatte! Eine solche Weisheit, jedenfalls was eine ganz moderne Problematik angeht, bildet das Thema der Erzählung „Aus der Wahrheit Feuerspiegel lächelt sie den Forscher an“. Der Protagonist Gustav Richter, eine faustische Existenz, entschließt sich am Ende der Geschichte, der Menschheit sein Wissen um eine neue unerschöpfliche Energiequelle erst einmal vorzuenthalten – eine Lösung, mit der Kraft in gewisser Weise Dürrenmatts „Physiker“ vorwegnimmt. Dass die Geschichte dann doch noch anders endet, mildert die Härte dieser Konfliktlösung ab. Es scheint so, als sei der Autor vor der letzten Konsequenz dieser Entscheidung Richters dann doch zurückgeschreckt … Insgesamt ist dieser Text eine reizvolle Kombination aus romantischen Schauermotiven mit modernen Fragestellungen wie etwa die nach der Verantwortung der Wissenschaft für ihre Forschungsergebnisse.
Man fragt sich doch immer wieder, was aus Robert Kraft wohl hätten werden können, hätte er Muße und materielle Mittel gehabt, sich als Künstler zu entwickeln: möglicherweise ein kein ganz unbedeutender Denker mit mystischem Einschlag. Solche Texte wie der zuletzt genannte weisen jedenfalls in diese Richtung.
Ein umfangreiches Nachwort von Franziska Meifert beschließt auch diesen in jeder Hinsicht gelungenen Band. Was ich schon zum letzten Band ausführte, verdient auch hier wieder erneut hervorgehoben zu werden: ‚Augenweide‘ ist schon fast gar kein Ausdruck mehr für das ästhetische Vergnügen, das dieser stattliche Band auf fast 500 Seiten bietet. Sogar zwei Vertonungen Kraftscher Lyrik werden im Faksimile wiedergegeben, dazu der Brief an den deutschen Theosophen Wilhelm Hübbe-Schleiden als Faksimile der Handschrift (wohl eine der ganz wenigen überhaupt erhaltenen Handschriften Krafts) – von der Fülle der Illustrationen ganz zu schweigen. Man kann den Herausgeber zu seiner Entscheidung nur beglückwünschen, auch diesmal nicht an Umfang und Qualität zu sparen. Und abschließend: schön, dass auch im Krisenjahr 2020 die wackeren Herausgeber und überhaupt alle am Zustandekommen dieser so verdienstvollen Edition Beteiligten nicht unter der Last dieser Herkulesarbeit zusammengebrochen sind!
Erschienen in Karl May in Leipzig, Nr 124, März 2021, S. 29-30