"Der gläserne Mensch"

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Dietmar Dath wurde am 3.4.1970 in Rheinfelden geboren und versorgt seine Leser seit 1990 sowohl mit journalistischen als auch literarischen Werken. Sein Themenfeld reicht von politischen Aspekten der Popkultur, über Wissenschaftskritik und biographische Arbeiten über Vertreter der Geisteswelt des 20. Jahrhunderts zu Science Fiction und Horror.
Tätig wurde er u.a. für das Musikmagazin "Spex", für die Satirezeitschrift "Titanic" und für weitere Blätter wie z.B. "Jungle World, "Konkret" oder das Almanach "Testcard". Außerdem übersetzt er aus dem Englischen, z.B. die verrückten Horror- Fantasies eines Joe R. Lansdale.
In Planung ist eine "biographische Phantasie über den britischen Physiker und Mathematiker Paul Dirac, einen der Pioniere der modernen Quantentheorie, Entdecker der Antimaterie und Erforscher des magnetischen Monopols." (
Homepage des Verbrecher-Verlages)

1995 Cordula killt Dich! oder Wir sind doch nicht Nemesis von jedem Pfeifenheini. Roman der Auferstehung Verbrecher Verlag, Berlin 1995

1996 Die Ehre des Rudels. Horrornovelle Maas Verlag, Berlin

1997 Charonia Tritonis. Ein Konzert, Dumme bitte wegbleiben. Erzählung. SuKuLTuR Verlag, Berlin (= „Schöner Lesen“ Nr. 3)

2000 Der Minkowski-Baumfrosch. Fortsetzungsroman in 12 Kapiteln. De-Bug, Berlin

2000 Skye Boat Song. Roman. Verbrecher Verlag, Berlin

2000 Am blinden Ufer. Eine Geschichte vom Strand und aus den Schnitten. Roman. Verbrecher Verlag, Berlin

2001 Phonon oder Staat ohne Namen. Roman. Edition Pfadintegral im Verbrecher Verlag, Berlin

2002 Schwester Mitternacht. Roman (mit Barbara Kirchner). Verbrecher Verlag, Berlin




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Dietmar Dath – Lesung und Diskussion
15.03.2002 "Haus des Buches" in Leipzig

Moderation: Thomas Hoffmann

T. Hoffmann stellte Herrn Dath kurz vor und bemerkte, dass Herr Dath nicht nur bereits veröffentlichte Werke mitgebracht hat, sondern auch unveröffentlichte Stoffe, worüber sich der SF-Freund freuen könne. Er drohte dem Autor an, ihn nach der Lesung gnadenlos ausquetschen zu wollen.

Herr Dath meint, dass die zwei ersten Stücke, die er lesen wird, aus Romanen stammen, die bereits veröffentlicht sind. Diese Teile sind so gewählt, dass sie für sich sprechen können. Die unveröffentlichten Stücke sind ohnehin die ersten Kapitel, so dass sie nicht erklärt werden müssen.


Das erste Stück „Die Ehre des Rudels“ – zum Genre Horror zählend – handelt von einer großen Universitätsstadt in Süddeutschland (es soll aber nicht Freiburg sein). Dort verhalten sich die Hunde sehr eigenartig, wie man es eigentlich nur von Wölfen kennt. Selbst Pekinesen gebärden sich wild. Die Handlung ist aus Episoden zusammengesetzt, die sich jeweils abwechseln mit der Darstellung von Gut und Böse, die jeweils ein in sich abgeschlossenes Kapitel ausmachen.
Es wird ein Wagendorf zwischen Stadt und Land beschrieben. Die Leute sind harmlos, aber die Stadtbürokraten überlegen, ob sie überhaupt einen Platz für alternativen Wohnen bereitstellen müssen, und wenn ja, wo. Lieber würden sie diesen Platz als Parkplatz ausweisen. Es wird die Fahrt von einigen jungen Leuten mit dem PKW zu einem Heavy-Metal-Konzert beschrieben. Die Suche nach einem Parkplatz gestaltet sich schwierig. Vom Open-Air-Konzert bekommen sie Sonnenbrand. Von der Musik sind sie halb taub und können kaum noch klar denken. Auf der Fahrt nach Hause muss der Fahrer des PKW sich durch Menschenmassen schieben, die das Auto anhalten wollen. An einer Brücke über einen Fluss ist vor ihnen ein PKW, in dem hinten eine riesige Dogge sitzt. Der Fahrer dieses PKW – ein feister Mann – fährt sehr aggressiv. Ein Schwerlasttransporter kommt von der Seite und durch das Verhalten des älteren Mannes kommt es fast zum Unfall. Die jungen Leute wollen den Mann zur Rede stellen, der jedoch lässt den Hund aus dem Auto. Die jungen Leute flüchten in ihr Auto und fahren weg. Der Hund verfolgt sie, und sie überfahren den Hund. Sie wenden, fahren am Auto des Älteren vorbei und meinen cool: „Da oben kannst’ deinen Bäumliseicher abholen, er ist außer Atem.“ Sie nehmen sich vor, das nächste Konzert in Zürich anzuhören.

Bei „Am blinden Ufer“ handelt es sich um einen Planeten, der der Erde ähnelt. Es gibt eine große Stadt, Burbruck, nahe der Küste. Früher gab es Schifffahrt, aber sie existiert nicht mehr. Trotzdem stehen an der Küste Leuchttürme, die auch regelmäßig besetzt sind. Zwischen der Küste und der Stadt liegt ein Gebiet, das „Die Schnitte“ genannt wird. Dort gelten andere Gesetze als die uns bekannten dreidimensionalen. Der derzeitige Leuchtturmwärter ist Volker Kappelhof, ein etwa dreißigjähriger Mann. Seine Lieblingswissenschaft ist die Klimatologie. Er bemerkt, dass in letzter Zeit mehrfach delphinähnliche tote Tiere angeschwemmt werden und meldet es seiner Leitstelle, aber es erfolgt keine Reaktion. Durch die lange Abwesenheit gehen Freundschaften kaputt, auch eine Bekanntschaft mit einer Frau. Briefwechsel und Telefonate können den persönlichen Kontakt nicht ersetzen.
Unter Wasser am Meeresgrund ist es dunkel und kalt. Dort liegt ein seit 70 Jahren toter Mann, der über die nicht sehr rosigen Verhältnisse philosophiert. Es gibt wenig zu essen, da er sich von „Meeresschnee“, den herunterrieselnden Abfällen, ernähren muss. Er sieht einen hellen Kreis über sich, die Sonne. Obwohl er kein Gehirn mehr hat, erinnert er sich an sein Leben. Das Schiff, mit dem er unterging, liegt etwa drei Kilometer vom Strand entfernt. Nun arbeitet sich das Gerippe langsam an den Strand heran.
Der Leuchtturmmann bekommt Besuch von seinem Vorgänger, genannt Richard. Sie machen es sich gemütlich, und langsam kommt eine Unterhaltung in Gang. Volker beschwert sich, dass die Leitstelle nicht auf seine Informationen über die angeschwemmten Tiere reagiert. Richard tut das aber als „Leuchtturmkoller“ und Mythen ab, und meint, Heimweh und Einsamkeit führten zu Wahnvorstellungen.

Herr Dath liest nun das erste Kapitel des unveröffentlichten Werkes „Die letzte Botin“.
Ab einem bestimmten Alter verstand das Kind die Weissagungen. Die Menschen mussten jedes Jahr härter schuften. Mit zehn Jahren wurde sie Botin. Erst wurde sie von ihrer Mutter trainiert, dann von der weisen Frau. Sie lernt alles über die Natur, die Tiere und das Wetter. Die Skorpione zum Beispiel haben nur noch Rudimente von Flügeln. Vor etwa 200 Jahren begannen die Mutationen. Eines Tages fand sie ein Gerät, von dem die Wissenschaftler sagten, es wäre ein elektromagnetisches Messgerät. Sie lernt die starke und schwache Atomkraft kennen, die Gravitation und muss sich Prüfungen unterziehen. Mit zwölf Jahren macht sie erste selbständige Botengänge. An den Füßen wächst ihr Hornhaut. Jemand beschwert sich, dass so ein schönes Mädchen dem Genpool verloren ginge. Sie läuft nach geodätischen Linien und fragt sich, wie man sie ohne Flugzeuge vermessen konnte. Sie philosophiert über Kosmologie und fragt sich was ein Mond ist. An ihrem vierzehnten Geburtstag übernimmt sie einen Botengang. Sie sieht Ballons fliegen und ein großes Feuer. Als sie zurückkommt, sind im Dorf alle Menschen und Tiere tot. Es ist aber nichts geplündert, auch die Gewächshäuser sind in Ordnung. Es fehlt nur ihr Piepser. Sie läuft zu den Felsen und versteckt sich in einer Höhle. Dann erwacht sie, weil eine Lampe ihr ins Gesicht leuchtet. Ein Fremder – er wird als glatt, kalt und schön beschrieben - bittet sie keine Angst zu haben. Sie fragt nach den Leuten im Dorf und erhält die Antwort, dass alle Dörfer entlang des Äquators zerstört seien. Sie geht mit den drei Fremden. Wohin? Zu den Sternen.

Das Interview führt Thomas Hoffmann:

Frage aus dem Publikum: Das Buch „Cordula killt dich“ hat mir am besten gefallen, und ich habe sie in einem anderen Buch wiedergefunden.
Antwort: Ja, sie kommt fast in jedem Buch vor. Es war Mode, Mehrfachbände zu schreiben. Deshalb wurden im ersten Buch noch fünf andere angekündigt, aber das war nur ein Witz. Es wird natürlich keine sechsbändige Folge. Auch die Ankündigung von „Fullers Weltraumlehre“ war nur ein Spaß, es war nicht beabsichtigt, diese Bücher zu schreiben.

F: Gibt es diese Frau wirklich?
A: Ja, es gibt diesen Menschen. Die Figur wäre ohne die reale Person nicht entstanden, er sagt aber nicht den Namen. Sie hat sehr früh gezeigt – bereits in der Schule - was es heißt, konsequent zu künstlerischen Ideen zu stehen. Diese Figur hat Logik entwickelt. Sie ist eine Hommage vom SF-Autor an M. Moorcock und Jerry Cornelius. Im vierten Buch von „Die letzte Botin“ zeigt er, wie die Person wirklich ist, zu Hause, mit Schwester und Bruder. Die Person bleibt, aber sie passt sich nicht an. Die „Botin“ spielt weit in der Zukunft.

F: In „Die Ehre des Rudels“ scheinen die Figuren Geschwister zu sein?
A: Herr Dath hat sich in dieser Szene bewegt. Dani ist eine aus verschiedenen Personen zusammengestellte Figur. Sie soll Solidarität, Friedfertigkeit und Gelassenheit ausstrahlen. Leute, die sich Horror reinziehen, können die nettesten Menschen sein, die einer Oma über die Strasse helfen. Dani ist ein Denkmal für die Welt, in der er nicht mehr ist, aber einmal war.

F: Das Buch „Phonon“ verarbeitet offensichtlich die Jahre vor 2000. Gibt es das Magazin „Spex“ noch?
A: „Phonon“ soll den Kosowo-Krieg darstellen. Herr Dath hat im Verlag ferngesehen, dort zeigte man die Nato-Angriffe. Es ging darum, Stellung zu beziehen. Das spielt sich auf drei Ebenen ab: Wie reagiert ein Individuum, ein Kollektiv, eine Stadt (Land bzw. Staat). Wenn ein Staat sich gründet, muss er einen Namen haben d. h. ein Programm. Was passiert, wenn der Name/das Programm nicht mehr passt? In welcher Weise nehmen die Menschen Schaden?

F: So habe ich das nicht herausgelesen, sondern mir schien, der Krieg ist gegen die eigenen Leute gerichtet, mit roboterähnlichen Figuren, die kaum fassbar sind.
A: Es ist die Bedrohung von innen und außen, das ist aktuell. Es wird aufgerüstet, auch psychologisch. Die Bürger sind zum Teil keine Menschen, sondern Dämonen und Roboter. Aber was ist ein Roboter, mehr oder weniger als ein Mensch? Demagogen und Hetzer können auch sagen „Untermenschen“.

Aus dem Publikum kommt die Bemerkung, dass man das Magazin „Spex“ im Zeitungsladen am Bahnhof kaufen könne.

F: Welche Botschaft hat die „Botin“ zu überbringen?
A: Der vorgetragene Teil ist nur der Prolog, es geht um eine abstrakte Welt in der Zukunft. Das zweite Kapitel spielt 1997, als der Erstkontakt mit Außerirdischen geknüpft wurde. Es finden mit der Uno Verhandlungen statt, man gibt uns Dinge und andere Dinge enthält man uns vor. Die Wege werden von Satelliten aufgezeichnet und stellen eine Schrift dar. Wenn sie komplett ist, wird die Information weitergegeben und dann kommt jemand. Die Außerirdischen wollen uns beschützen, aber die Gefahr ist nicht so groß. Da das Buch sehr umfangreich ist, wird es wahrscheinlich nicht in einem Band erscheinen können. Der erste Teil wird eventuell nächstes Jahr im Verbrecher-Verlag herauskommen.
Er hat den Vorsatz gefasst – was für die anderen Bücher nicht gilt – dass strikt ein Genre eingehalten wird. Die Ehre des Rudels ist religiöser Horror, Am Blinden Ufer ist Fantasy. Aber meist sind die Bücher ein Genre-Mix. Dem Möglichen wird der Vorrang vor dem Wirklichen eingeräumt. Horror möchten wir nicht erleben. Bei SF ist das verschieden, Endzeit-SF möchten wir auch nicht erleben. Aber bei der Botin wird die Form SF eingehalten.

F: Ich habe den Eindruck, du hast viele Ideen verschenkt. Im „Skye Boat Song“ sind so viele Ideen enthalten, da hättest du tatsächlich sechs Bände draus machen können. Es werden viele Fäden gesponnen, laufen zusammen, einige bleiben unberücksichtigt, das macht die Sache spannend.
A: Herr Dath nimmt S. Kings „The Stand“ als Beispiel. Es gefällt ihm, wenn am Ende „der Böse tot ist, die Guten haben zum Teil überlebt“. Das Ende ist eigentlich bereits 80 Seiten vor Schluss des Buches. Dann wird noch die Heimreise von einigen Personen erzählt. Der Gedanke muss zu Ende gedacht werden. Das führt aus dem Buch heraus. Bei längeren Büchern geht es ihm auch so. Aber am liebsten erzählt er kurz und bündig, am besten wäre es, nur Inhaltsangaben zu machen bzw. eine Rezension. Wenn man anfängt zu schreiben, muss man sich entscheiden zwischen Präsens oder Imperfekt, so denkt man aber nicht, so erlebt man nicht, das ist anstrengend. Er mag auch keine seitenlangen Raumbeschreibungen. Wenn man zu seinen Romanpersonen eine Beziehung hat, sie liebt, dann kann er sich so etwas nicht vorstellen. Obwohl Dani demnächst draufgeht.
(Diese Bemerkung ruft natürlich Gelächter hervor.)

F: Du hast eine Affinität und Ideenkomplexe zu Wissenschaftlern, zu bedeutenden Menschen, ohne die unsere Welt nicht so wäre wie sie ist. Shannon wäre z. B. kein Begriff, wenn er nicht im „Skye Boat Song“ auftreten würde.
A: Das Thema kam bei der praktischen Arbeit am Computer. Die Themen Basislogik, Binärcode, Signalübertragung, Verhältnis von Information und Störquellen, Sendekapazität, Nachrichtentheorie waren interessant. Shannon hat den „Ultimativen Kasten“ gebaut. Drückt man auf einen Knopf, kommt eine Hand heraus, die den Kasten wieder ausschaltet. Diese Figur war inspirierend, deshalb auch das fiktive Interview.

F: Du beschäftigst dich auch mit Kryptographie und Paralleler Evolution?
A: Weniger. Es gibt neben unserem Leben noch ein anderes, das uns überwuchert. Wie kommuniziert das andere Leben? Shannon hat sich mit Evolutionsgenetik beschäftigt.
Die Romanfiguren können Vorbilder sein, es soll aber kein Geniekult werden. Es soll nicht so aussehen, als würde jemandem die Dampfmaschine einfallen, und nun kann die Entwicklung endlich weitergehen.

F: Du wirst einen Roman über Dirac schreiben?
A: Der Physiker Paul Dirac war wesentlich an der Entdeckung der Quantenmechanik in den zwanziger Jahren beteiligt. An der Idee hat Herr Dath lange gearbeitet und fürchtet, es nicht zu schaffen. Dirac war eine sehr vielseitige Persönlichkeit, er war sehr penibel und gewissenhaft und wollte eine „schöne“ Quantenelektrodynamik machen. Das Buch soll aber keine Biographie werden. Bis 1945 orientiert sich das Buch an der Realität, dann läuft es aber anders. Da er vor der Person Dirac großen Respekt hat, lässt er sich Zeit mit dem Stoff.

F: Wieso „Verbrecher-Verlag“?
A: Der Name stammt aus einem Zitat: „Verbrechen schafft Gerechtigkeit“. Die Gründer des Verlags wollten einen möglichst seltsamen Namen haben.

Frage aus dem Publikum: Wie gestaltet sich Ihre Arbeit mit Barbara Kirchner?
A: Frau Kirchner hat ein eigenes Buch geschrieben, einen Krimi, der für einen Preis nominiert ist. Da Frau Kirchner Chemikerin ist, und somit viel von Dingen weiß, von denen Herr Dath keine Ahnung hat, ist die Zusammenarbeit sehr vorteilhaft. Es fing an mit Kleinigkeiten, Formulierungen, dann erweiterte sich ihr Anteil auf ganze Passagen. Sie schicken sich die Texte per e-mail zu. Erst wird ein Raster für die Texte erstellt, der andere füllt die Lücken auf. Das Ziel: Ein Buch in diesem Verfahren zu schreiben. Es ist bereits zur Hälfte fertig. Sie haben eine bestimmte Schwelle der Zusammenarbeit bereits überschritten, denn derjenige, der die Lücken füllt, darf auch die bereits vorher geschriebenen Texte ändern.

Mit Dank und Applaus für den Autor endet die Veranstaltung.

E.Ra.