ROBERT SILVERBERG: "THE SILENT INVADERS" (1963)

Robert Silverberg "The Silent Invaders" 

WAS SHE A WOMAN - OR A MONSTER? . . . a great CALVIN KNOX novel*


gelesen von Andreas Hirn


Robert Silverberg ist seit langem einer der ganz Großen des Genres. Sein erster Roman erschien, da war er gerade 20. Von dem vielversprechenden Talent, das in großer Anzahl billige Abenteuer-SF auf den Markt warf, entwickelte er sich Ende der 60-er Jahre zu einem ernstzunehmenden, durchaus sehr anspruchsvollen Autor, um dann in den 80-ern sich erfolgreich auf seinen Lorbeeren auszuruhen und weiter Abenteuerromane von teilweise zweifelhafter Qualität zu verfassen. Robert Silverberg ist ein Phänomen. Und zwar eines - wenn ich von mir spreche -, das man lieben muß.
Meine ersten Erfahrungen mit Silverberg machte ich in den "Chroniken der Zukunft"-Sammelbänden, als ich - um anzufangen, meinen Nachwende-Nachholbedarf an West Science Fiction zu decken - auf sein Meisterwerk "Kinder der Retorte" (1970) stieß, das nicht nur problembewußt sondern auch ungeheuer unterhaltsam, spannend, teilweise beängstigend und gespenstisch wie ein Alptraum war. Damals wußte ich noch nichts von den vielen Gesichtern eines Robert Silverberg, es war zu der Zeit eher ein Schock, ein solches Buch von einem Amerikaner zu lesen, erwartete ich in meiner Naivität doch von diesen zumeist triviale Langweiler (ja, ja, bis auf Ausnahmen, etwas Sheckley, Pohl & Kornbluth, Bradbury oder Dick & Zelazny - einer meiner Onkel hatte eine uralte Ausgabe von ihrem "Deus Irae" von der Westverwandschaft geschickt bekommen - hatte ich ja auch gelesen; aber als mehrjähriger Klassenagitator war ich noch skeptisch...). Richtig aufgeregt ging ich dann an die Lektüre von "Die Sterne rücken näher" (1958 &1969) - und war wieder geschockt, diesmal aber anders, konnte das Buch an dem Abend nicht mehr aus der Hand legen. Das hier war ein exzellent erzähltes, wunderbares Märchen voller Atmosphäre und Phantasie. Stark, wenn auch völlig anders geartet als die "Kinder der Retorte". Silverberg begann, mich zu faszinieren.
Im Rahmen dieses Silverberg-Specials, der im Mai ja nach Leipzig kommt, möchte ich Euch ein Buch aus Silverbergs früher Schaffensperiode vorstellen: "The Silent Invaders". Mir ist keine deutsche Übersetzung bekannt, vielleicht kann mir da ja jemand weiterhelfen, der weiß, ob das Buch bei uns erschienen ist. Ich habe es jedenfalls in dem Englisch-Regal eines Brüsseler Antiquariats gefunden und es gekauft; es war so schön bunt - und dann stand noch Silverberg drauf.
Dementsprechend sehr gut war das Vorwort, allein deswegen lohnte schon die Anschaffung. Silverberg erzählt hier von einer Fahrt Im Sommer 1973 durch New Mexico, bei der er an einem kleinen Laden am Straßenrand der Hauptstraße von Alamogordo anhält und sich interessiert die SF-Bücher dort anschaut und auf ein Werk namens "The Silent Invaders" vom Hugo- und Nebulagewinner Robert Silverberg stößt.
Oh toll, denkt er bei sich, wieder ein neuer Silverberg. Bis er darauf kommt, daß er ja Silverberg ist, und das Buch da kennt er gar nicht mehr. (Aber so etwas hindert ihn natürlich nicht, den Roman mit neuem Vorwort noch einmal herauszubringen.) Also frischt er seine Erinnerungen etwas auf: Die ursprüngliche Version der "Silent Invaders" war eine 16.000 Wörter-Geschichte, die er im Dezember 1957 schrieb und die ein Jahr später unter dem Pseudonym Calvin M. Knox veröffentlicht wurde. Im Februar und März 1962 erweiterte er die Story für Ace zu einem Roman, wo er im Frühjahr 1963 in einem Doppelband mit William F. Temples "Battle of Venus" erschien. 1975 schließlich kam das Buch bei Dobson auch in Großbritannien heraus. Silverberg selbst gibt in seinem Vorwort Schwächen dieses Werkes frei zu, plaudert nebenbei auch über die steigenden Buchpreise, seinen chronischen Geldmangel als Schriftsteller und alte Zeiten.
Und außerdem widmet er sein Buch nicht nur wie damals seinem Kater Radames, sondern auch all jenen SF-Fans, die den alten Silverberg, den unkomplizierten Abenteuerschreiber der End-50-er für den wirklich wahren Silverberg halten.
Die Hauptperson des kurzen, nur etwa 150 Seiten langen, Romans ist der Darruui Aar Khiilom, ein außerirdischer Agent, der - durch viele kosmetische Operationen in eine menschliche Haut gezwängt - auf der Erde als Major Abner Harris des Interstellaren Entwicklungskorps leben soll. Er ist, wie alle seine Mitstreiter, ein "Diener des Geistes", Angehöriger der herrschenden Kaste seines Heimatplaneten. Seit Urzeiten schon tobt in der Galaxis der Streit um die Macht zwischen den Darruui und den Medlins, ihren Feinden. Nachdem die Hellseher den Großen Zusammenbruch in spätestens 200 Jahren vorhergesagt haben, wird noch einmal alles mobil gemacht. Jede Welt muß sich entscheiden, für wen sie kämpfen will.
Harris und die anderen Darruui-Agenten sollen den Boden für den möglichen Krieg bereiten und in der Menschheit einen Verbündeten gewinnen. In Harris/Khiilom bestehen jedoch noch leichte Zweifel, er hat Probleme, sich an seine neue Rolle zu gewöhnen. In seinem Hotel stößt er auf dem Flur mit einer Frau zusammen. Da kommt ihm eine grandiose Idee: Keiner vermutet einen Alien-Spion in einem Menschen, der mit einer Frau zusammenlebt. Also läßt er alle seine ungeschickten Verführungskünste spielen, um Beth Baldwin, so heißt die Schöne, zu umgarnen.... Logischerweise wundert es uns überhaupt nicht, daß Harris damit erst recht in Schwierigkeiten gerät. Beth ist nämlich eine Medlin-Agentin - und sie weiß von seiner wahren Identität. Bei einem Treffen mit seinem Vorgesetzten Carver erfährt Harris von den Medlins auf der Erde. 100 sind schon da - und nur 10 Darruui.
Also soll er losziehen und möglichst viele Medlins killen. Sein erster anvisiertes Opfer: Beth Baldwin. Harris, immer noch im Zweifel, will ein guter "Diener des Geistes"sein und läuft geradewegs in den Hinterhalt der Medlin-Dame. Er erwacht in einem Keller und muß sich mit anhören, daß die Medlins die besten und reinsten Geschöpfe des ganzen Weltalls sind, sie wollen auf der Erde nur einer Zivilisation von "Supermenschen" den Start erleichtern, dagegen sind die Darruui ganz ganz böse, und deswegen muß er die restlichen neun Agenten - klar - umbringen.
Als Überläufer (alles nur Tarnung!) stattet er Carver nochmals einen Besuch ab, läßt sich erneut umdrehen und will nun die Medlins in ihrem Hauptquartier abmurksen.
Daß daraus nichts wird, ist auch keine Überraschung, die Spionagestory ist aber trotzdem nicht übel. Streckenweise kommt richtige Spannung auf. Interessant wird das Klischee jedoch erst durch die Figur des Abner Harris = Aar Khiilom. Der steht nun wirklich zwischen allen Fronten. Er liebt seine Heimat über alles, ihm ist aber bei dem Job von Anfang an unwohl, und nach und nach muß er erkennen, daß er eigentlich auf der falschen Seite steht (hier ein Minus für Silverberg, die Medlins sind zwar keine Engel, aber die Darruui sind ja solche Monster, daß selbst Rambo das Zittern bekommeen könnte). Dieser Prozeß ist schmerzhaft, geht nicht von heute auf morgen, sein ganzes bisheriges Leben ist umsonst gewesen, jetzt steht er völlig allein da (nun gut, das stimmt nicht ganz, Silverberg konnte sich die obligatorische Lovestory nicht verkneifen [obwohl hier auch Pfeffer drin ist, als "Mensch" ist seine eigentliche Todfeindin von unwahrscheinlicher erotischer Anziehungskraft], da ist ja noch Beth).
Der galaktische Hintergrund ist ziemlich schlampig ausgedacht. Ein generationenalter, mächtiger Konflikt. Na und? Die Erde der Zukunft bleibt ähnlich blaß : überbevölkert, ein urbaner Horror. Dafür sind die neuen Bewohner dieser zukünftigen Erde wieder nicht ohne. Menschen mit außergewöhnlichen körperlichen Kräften und wohl auch Psi-Begabungen, hier geht Silverberg nur auf die Telepathie ein, weil er die für die tolle Wendung in der Handlung noch braucht. Sind die "stillen Eindringlinge" nun die für die normale Welt unsichtbar bleibenden Außerirdischen oder doch die Supermen, die dieMen mit Sicherheit ausrotten (nicht mal aus Bosheit oder dunklen Motiven heraus) werden?
Alles in allem ist "The Silent Invaders" ein grundsolides Buch, mit einigen ordentlichen Ideen und viel Mittelmaß. Die Actionhandlung ist vielleicht nicht allzu überraschend, aber sie funktioniert gut, ist wendungsreich und immer wieder mit Einblicken in die Seele des verlorenen Abner Harris abwechslungsreich gestaltet. Stellenweise ist der Roman auch von wohltuender Ironie, nimmt sich selbst und einige seiner abgedroschenen Klischees nicht bierernst. Es ist keines von Silverbergs besten Büchern und mit Sicherheit keins seiner schlechtesten, ein typisches Frühwerk, echte 50-er-SF und gleichzeitig ein echter Silverberg. Auch wenn der Meister selbst es in ca. 11 Jahren vollkommen vergessen hatte.

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* so wurde die Geschichte im Oktober 1958 auf dem Cover des Magazins Infinity angepriesen (Zitat nach Robert Silverberg: "The Silent Invaders". Hamlyn Paperbacks, Feltham, Middlesex, England 1978, S. 4)

© 1995 by Andreas Hirn, Erfurt (Beitrag zum Silverberg-Special, SX 66 (9/95))
Änderungen © 1996 by Andreas Hirn, Halle/S.

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