Auszug aus dem 13. Kapitel:
... "Die Späher kommen zurück! Es sind nur noch zwei!"
In einer Wolke aufstiebenden Schnees sprengt sie davon, dem Horizont
entgegen. Wenig später verharrt die Wolke, fällt in sich zusammen,
um gleich darauf erneut aufzuwehen. Größer, glitzernder als zuvor,
fliegt sie nun dem Heerzug entgegen.
Mit heimlichem Triumph sieht Derek, daß die beiden Dreihörner
dem Feuertiger die Hinterhufe zeigen. Obgleich er, zu Gadars sichtlichem
Verdruß, den schmeichlerischen Korr ins Herz geschlossen hat,
befriedigt ihn die Überlegenheit der seemärkischen Reittiere doch
sehr.
Sein Hofalkalde Gunder erreicht die Spitze des Zuges als Erster.
Das Dreihorn bäumt sich wild auf, als Gunder am Zügel reißt. Im
Gesicht des Mannes steht unverhohlene Wut.
"Ein Meerholl war es, Großherr Derek! Ein Meerholl hat Wellem
hinabgerissen, als er mit seinem Speer einen Fisch stechen wollte!
Ein verdammter Holl!" Dabei blickt er haßerfüllt auf Atta. Inzwischen
sind auch Garrelf und Damma angekommen.
"Gunder hat recht." Garrelf klopft sich den Schnee aus den Kleidern.
"aber er verschwieg, daß Wellem vorher mit seinem Speer nach dem
Holl stach."
Gunder zischt wütend: "Was ist daran auszusetzen, wenn ein Mann
seinem Gegner zuvorzukommen trachtet, Bauer?"
Garrelf schaut den keifenden Hofalkalden nicht an.
"Der Meerholl trieb Wellem einen Schwarm Goldflossen vor den
Speer... aber dieser Dummkopf stach nach dem Holl. Aus Angst und
Dummheit, gewiß. Aber es war der Holl, der sich verteidigte."
Derek stöhnt auf. Jetzt haben wir auch noch die Meerholle zum Feind! Wegen solch
eines schwachsinnigen Hofschranzen, den ich schon längst aufs
Altenteil hätte schicken sollen!
"Einen Meerholl zu bedrohen ist der Gipfel an Dummheit!" faucht
Damma. "Diese Geschöpfe sind friedfertig und uns Menschen wohlgesonnen.
Dutzende Fälle kenne ich, in denen sie Schiffbrüchigen das Leben
retteten."
Derek nickt düster. Ja, sanft und hilfsbereit sind diese Wesen,
die ihre kräftigen Stummelflügel wie Flossen gebrauchen, pfeilschnell
durch die Meeresfluten jagen. Aber auch sehr stolz und rachsüchtig
sind sie.
"Machen wir uns auf das Schlimmste gefaßt." knurrt er ärgerlich
und fragt Garrelf: "Wie weit ist es noch bis zur Küste?"
"Vier Tagesmärsche, Großherr. Dort, wo Himmel und Wasser aneinanderstoßen,
sah ich die Masten von gut zwei dutzend Schiffen."
"Das ist die Königliche Flotte." bemerkte Damma zufrieden. "Du
siehst, Derek, mein Darrhu ist nicht fauler als die Tauben deines
Hofalkalden. Obwohl er schon zu Berulfs Zeiten die Schale seines
Eis zerbrach!"
"Wie?! Dann müßte er ja älter sein als tausend Jahre!"
"Ja, Berulf selbst hat ihn gezähmt, und seither diente er allen
Herrschern des Geeinten Reiches. Schau nicht so ungläubig, die
meiste Zeit ihres Lebens verbringen sie in todesgleichem Schlaf.
Nur wenn der Klang der Darrhupfeife aus diesem Schlaf sie weckt,
erwachen sie. So kann ein Wesen wohl leicht tausend Jahre alt
werden."
"Aber es gab doch schon Darrhus, bevor ihr Thar sie mit der Pfeife
zähmtet? Wie konnten diese denn ein ganzes Leben schlafen?"
Damma lacht belustigt auf.
"Scharf gedacht, lieber Derek! Die Darrhupfeife tönt wie das
Locken, mit dem die Tiere sich während der Balz rufen, und dieser
Ruf weckt selbst Tote auf - beim Menschen ist es doch ähnlich,
oder?" Sie lächelt spöttisch. "In tausenden versteckten Höhlen
sammelten sich einst Millionen dieser Tiere. Dort hingen sie,
mit ihren messerscharfen Krallen fest im Fels verankert, im Todesschlaf,
fast das ganze Jahr. Aber jedesmal im Frühling erwachten sie für
dreißig Tage und lockten sich mit diesem Ruf... Heute gibt es
nur noch eine solche Höhle. Zehntausend Darrhus schlafen dort
den Todesschlaf. Die Höhle ist ein gewaltiges Gewölbe im Zentralkastell
des Andorgaswalls. Es sind unsere Kampfdarrhus, die dort schlafen.
Auch ihretwegen war für mich der Zeitpunkt wichtiger als der Ort,
an dem Rorik Tsallas Grenze überschreiten wird. Wir müssen sie
zwanzig Tage vor der Schlacht wecken, nur dann ist ihre Körperhitze
hoch genug, damit sie mit sengendem Feuer über den Feind kommen
können. Und wieder werden viele hundert sterben... viele , viele
hundert..."
Als Derek, mit einiger Verblüffung, tränenfeuchtes Glitzern in
ihren Augen sieht, will er erst einwenden: Und tausende von Menschen werden sterben, Damma! Aber ein unbestimmtes Gefühl heißt ihn zu schweigen. Menschen hat sie erschlagen, ohne die Erschlagenen zu zählen,
denkt er, deshalb ist ihr ein Menschenleben keine Träne wert...
"Seit Berulf und Gobedda Tsalla einigten, besteht dies Heer von
Darrhus. Nur selten mußten Tsallas Herrscher diese Waffe ziehen.
Denn kaum ein Krieg der tausend Kriege, die uns aufgezwungen wurden,
war nicht in zwanzig Tagen längst für uns entschieden. Und war
der Feind in seiner Gier so zäh, die zwanzig Tage zu bestehen
- so brachten unsere Darrhus über ihn das Höllenfeuer. Unsere
Krieger bestreichen sich die Stirn mit einem Elixier, das aus
dem Kot der Darrhus gewonnen wird - so können die kleinen Drachen
Feind und Freund unterschieden. Sie haben feine Nasen, so empfindlich
wie die der Flatterlinge... Berulf war der erste Herr der Darrhus,
wie er in vielem schneller war als Gobedda. Berulf dankt das Reich
die Einheit, seine Stärke, seinen Reichtum auch in tausend Jahren
Krieg. Nur ihm, dem Ahnherrn meiner Väter. Wenn nur seine unbezähmbare
Jagdleidenschaft, wenn dieser eine Speerwurf nicht gewesen wäre..."
"Verzeih, Damma, ich weiß zu wenig über deines Volkes Werden,
um alles zu verstehen. Von welchem Speerwurf sprichst du jetzt?"
Damma schaut versonnen auf den Horizont.
"Das Berulfslied hast du nie gehört? Jedes Kind auf Tsalla kann
es singen... nun ja, wie solltest du... Wenn du es willst, will
ich dir singen, was uns soviel bedeutet, wie euch das Ealthealied.
Dann steig zu mir in den Sattel. Das Ghammelan klingt ohne Kupferkessel
leise wie die Stimme einer alten Frau, doch ohne Ghammelan kann
ich's nicht singen."
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