Auszug aus Kapitel 16:
..."Volle Deckung!" Ein kurzer Ruf von der Spitze der Marschkolonne
reißt Hyazinth aus der Grübelei. "Absolute Nullemission...!!!"
Er läßt sich sofort fallen. Seine Reflexe sind gut, auch dank
seiner Ausbildung als Tänzer. aber wirklich geformt wurden sie
erst in den unterirdischen Kasernen der Revisionsfront. Absolute
Nullemission - das heißt: nicht bewegen, nicht atmen, nicht denken.
Damit die Sensoren von Spürbojen oder mobilen Einheiten nicht
das geringste Signal wahrnehmen können.
Kaum liegt er im kalten Wüstensand, hört er schon das anschwellende
Brausen. Ein einzelner Kampfspider donnert über ihre Köpfe hinweg.
gerade will er aufatmen, da ertönt der nächste Befehl: "Schwereschleudern:
Ziel erfassen!"
Automatisch drückt er sich in die Hocke, setzt einen Fuß nach
vorn und läßt sich auf das andere Knie nieder. Synchron zu diesem
Bewegungsablauf hebt er das Rohr seiner Waffe auf die rechte Schulter
und preßt das Gesicht gegen die Okularmaske.
Da kommt er! Der Kampfspider ist kurz nach dem Überflug in einer
steilen Kurve nach oben gestiegen. Irgendetwas müssen seine Sensoren
trotz des Abweiserfeldes geortet haben.
Hyazinths Bewegungen sind ganz ruhig. Das alles hat er im Simulator
hundert Mal geübt. Aber das nervtötende Singen und Zirpen unter
seiner Schädeldecke schwillt zu einem schmerzenden Inferno. Er
weiß, daß insgesamt acht Schwereschleudern ihre Fokusfelder auf
den Flugkörper richten. Und wenn nur einer trifft, reicht das
völlig aus.
Aber diese Gewißheit kann nicht die kreischende Säge zum Schweigen
bringen, die sich durch seine Nervenbahnen frißt.
Im Blickfeld der Visiereinrichtung erscheint der Nachthimmel
strahlend hell, und Hyazinth erkennt hinter der Kanzelverglasung
des Kampfspiders einen behelmten Kopf. Dann sieht er, wie die
von Spiralen ummantelten Röhren in seine Richtung schwenken. Alles
geht blitzschnell, aber trotzdem hat er das Gefühl, die Zeit dehne
sich plötzlich unendlich in die Länge. Er sieht genau die Bewegungen
des Helmes in der Kanzel, glaubt fast zu verstehen, wie der pseudoorganische
Pilot mit einem schnellen Blick über die Displays seiner Waffensysteme
huscht. Kurz bevor aus den Rohrmündungen der Spiderbewaffnung
gleißende Helligkeit bricht, drückt Hyazinth auf den Auslöser
seiner Schwereschleuder.
Zwei winzige Materiepartikel jagen innerhalb des Fokusfeldes
auf das Ziel zu. Beide besitzen nur eine Masse von wenigen Gramm,
ihre räumlichen Ausdehnungen aber sind geringer als die eines
Atomkerns, ihre Dichte ist fast so unvorstellbar hoch wie die
der kosmischen Materie in der Singularität. Unmittelbar vor Erreichen
des Ziels prallen diese beiden superdichten Teilchen aufeinander
und verschmelzen dank ihrer überkritischen Masse zu einem Primordialen
Schwarzen Loch von submikroskopischen Ausmaßen, dessen Lebensdauer
nur in Millisekunden gemessen werden kann, weil es sogleich unter
Freisetzung eines Stroms von Elementarteilchen aus dem virtuellen
Phasenraum verdampft.
Der Effekt ist verheerend. Der Kampfspider explodiert nicht in
einem Feuerball, er verschwindet einfach. Sein Fall in die Singularität
ist eher wie eine Implosion: Ein Strudel aus Sand und Staub erhebt
sich und stürzt ins Nichts, dann zucken die aus der Virtualität
geschleuderten Elementarteilchen als greller Blitz durch die Nacht,
von schmetterndem Donner begleitet. Wie eine weißliche Blase dehnt
sich der Raum und zerplatzt erneut zu nichts.
Dem Piloten des Flugkörpers war es jedoch noch gelungen, zwei
Plasmaladungen abzufeuern, die als lohende Feuerstrahlen auf die
Gruppe hinunter rasten.
Die Druckwelle trifft Hyazinth mit voller Wucht in den Rücken,
er wird wie von einer Meereswoge empor gehoben und nach vorn geschleudert.
Er prallt auf den Boden und spürt einen furchtbaren Hieb auf den
Hinterkopf. Obgleich er vor Schmerz die Augen schließt, sieht
er farbige Lichter flackern und durcheinanderwirbeln.
Stöhnend erhebt er sich. Einige dutzend Meter hinter dem Ende
der Marschkolonne glühen dunkelrot zwei Trichter aus glasiger
Schmelze im Wüstenboden.
Hyazinth streift die Tornisterriemen von den Schultern und stolpert
zu Tauphi, die verkrümmt im Sand liegt. Wenige Schritte neben
ihr erkennt er einen abgerissenen Arm. Die Hand umklammert immer
noch ein Lasergewehr. Etwas weiter sieht er den Rumpf eines Menschen.
der Bauch ist aufgerissen, und etwas grünliches quillt in fettigen
Schlingen langsam hervor. Ein seltsamer Geruch liegt in der Luft:
warm, säuerlich und ein wenig nach Fäkalien. Hyazinth fällt auf
die Knie, und ihm ist, als zerre ihm eine grobe Faust den Magen
heraus, als er sich übergibt. Mit letzter Kraft kriecht er zu
Tauphi. Die Wunde am Hinterkopf, wo ihn der Tornister mit der
Energiequelle traf, brennt höllisch, aber er empfindet den Schmerz,
als sei er etwas Gewohntes, Selbstverständliches.
Das war es also, denkt er. Das war dein kurzes Leben. gleich wird eine ganze Armada von
Kampfspidern über uns herfallen, und dann wird uns auch unsere
überlegene Bewaffnung nicht helfen. Ich bin ein Idiot! Wieso habe
ich mich auf diesen Wahnsinn eingelassen? Zu spät. Jetzt ist alles
aus. Wenigstens Tauphi noch einmal sehen, ihr kindliches Gesicht
mit der fast durchsichtigen Haut, wenigstens einmal ihre Wangen
streicheln.
Er beugt sich über sie und dreht sie, ächzend vor Schmerz, auf
den Rücken. Ihr Mund ist halb geöffnet.
Hyazinth treten Tränen in die Augen.
"Tauphi!" Er schüttelt sie sacht, dabei wackelt ihr Kopf hin
und her als hing er nur noch an einem dünnen Faden.
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