Johanna und Günter Braun
Die Geburt des Pantamannes
(Berlin : Verlag Das Neue Berlin, 1988)
Rezension von Ralf Lorenz (Transfer Nr.7, 1989)
Nach längerer Veröffentlichungspause - das letzte greifbare Werk
"Der Utofant" war eine Sammlung Prosastücke, die SF-Motive
zwar immer wieder mit einbezog, aber auf eine sehr fragmentarische, formspielerische
Weise - nun ein neues Buch der Brauns.
"Die Geburt des Pantamannes", dem - das ist der Bemerkung "Ende
des ersten Buches" zu entnehmen - noch mindestens ein zweiter Teil
folgen wird. Wir leben im Zeitalter der Massenproduktion menschenähnlicher
Roboter, der sogenannten Pantamänner. Die Menschen haben sich an die
Existenz dieser Androiden gewöhnt, verwenden sie zum Beispiel für
die tägliche Hausarbeit, ebenso für die Erledigung anderer unbequemer
Tätigkeiten. Ja, es soll sogar unbefriedigte Ehefrauen geben (bzw.
Witwen), die sich einen Pantamann als Ersatz für einen menschlichen
Lebensgefährten kaufen, ganz einfach, weil er "problemloser zu
handhaben" und für die rein technische Seite der Liebe mindestens
genausogut zu gebrauchen ist ...
Eines aber hat die Wissenschaft noch nicht geschafft: den "Pantamann
mit Seele" - also einen Androiden, welcher menschliche Gefühle
entwickelt, mithin eine Maschine, die eine echte Persönlichkeit darstellt
und somit einem echten Menschen sehr nahe kommt. - An diesem Projekt arbeitet
Prof. Phenax. Und hier setzt die eigentliche Geschichte des Buches ein:
Viatti, ein Humanarzt für "psychisch bedingte Krankheiten"
ist mit Prof. Phenax bekannt, ja befreundet. Auch er hat sich zwölf
Pantamänner zugelegt, die ihm, dem Seelenklempner, das mühselige
Geschäft erleichtern sollen. Denn die (Pseudo-)Probleme seiner lieben
Mitmenschen interessieren Viatti schon lange nicht mehr, diese überläßt
er nur zu gern seinen zwölf Doubles. (Freilich hofft er insgeheim,
daß die Patienten doch den Unterschied merken und sich irgendwann
ihren Doktor zurükwünschen werden.) Dieser Dr. Viatti nun wird
von Phenax konsultiert: er soll ihm - zwecks Herstellung von Pantamännern
mit seelischen Reflexen - eine Liste "der menschlichen Grundeigenschaften"
erstellen. Doch das Projekt wird von Viatti torpediert, der insgeheim eine
Abscheu gegen zu menschliche Pantamänner hegt. Sein Katalog menschlicher
Grundeigenschaften und -reaktionen ist ein Musterbeispiel mechanistischer
Welt- und Wirklichkeitsauffassung bzw. eine gelungene Satire auf dieselbe.
Wie kann es anders sein: Phenax als weltfremder "mad scientist"
fällt darauf herein - die neue Pantamann-Generation wird ein Flop.
Viatti ist zufrieden und Phenax schäumt vor Wut - das Zerwürfnis
der beiden nimmt seinen Lauf.
Noch aber hat Phenax einen Joker in der Tasche: seinen Star-Pantamann "Paskal",
der nämlich soll der erste Roboter mit "Ich-Bewußtsein"
werden. Das Projekt gelingt, aber ist dennoch in den Augen Phenax' ein totaler
Mißerfolg. Sobald nämlich Paskal mit der Idee konfrontiert wird,
daß es so etwas wie eine individuelle Seele gibt, ja, daß er
selbst eine solche hat, "rebelliert" er. Frankenstein-Phenax kann
seine eigene Schöpfung nicht mehr kontrollieren, ein Roboter, der frei
über seine Emotionen und Reaktionen verfügen kann, ist eben keine
seelenlose Maschine mehr, sondern ein Mensch mit allen Stärken und
Schwächen; und vor allen Dingen besitzt er einen eigenen Willen. Paskal
bricht alle Beziehungen zu seinem Erzeuger ab und findet zeitweise bei Viatti
Unterschlupf. Daraufhin beschließt Phenax - genau wie weiland sein
berühmtes literarisches Vorbild - sein "Gebastel" zu töten.
Dies aber mißlingt gründlich; das Ende vom Lied: der "mad"
scientist wird im wahrsten Sinne des Wortes mad und fällt auf die Stufe
eines hilflosen Kleinkindes zurück. - Paskal jedoch wird immer menschenähnlicher,
bleibt auch nicht so vertrauensselig wie am Anfang und lernt die Welt zu
nehmen wie sie ist. Der Schluß des ersten Bandes zeigt uns Paskal
im Flugzeug sitzend: er möchte eine "Bildungsreise" machen
...
Soweit kurz zusammengefaßt der Inhalt des neuen Braun-Buches. Die
Geschichte wird flüssig und ohne Komplikationen erzählt, das ganze
ist amüsant zu lesen. Die gewohnt-geschliffene Sprache der Brauns -
gespickt mit Anspielungen, ironischen Untertönen, aphorismusartigen
Sentenzen - bietet viel für Leser, die so etwas zu schätzen wissen.
Mitunter schien mir der "moralische Zeigefinger" ein wenig zu
deutlich sichtbar; aber wer die Autoren aus ihren früheren Büchern
kennt, der weiß, daß für sie die utopische Methode nur
ein Mittel ist, die Gegenwart und deren Entwicklungen in den Griff zu bekommen.
"Die Geburt des Pantamannes" warnt vor den Gefahren unreflektierten
Fortschrittglaubens, spricht sich mit aller Schärfe dafür aus,
unser eigenes Menschsein voll auszuschöpfen und eigenverantwortlich
zu handeln - insofern setzt dieser phantastische Roman die Tradition früherer
Braun-Bücher fort, ja es setzt sogar schärfere Akzente als der
zuletzt erschienene Band "Der Utofant". Naturgemäß
kann ein abschließendes Urteil über den Pantamann erst dann gefällt
werden, wenn der thematisch abschließende Band vorliegt. Jedoch schon
jetzt steht für mich fest, "Die Geburt des Pantamannes" ist
ein gelungenes Stück phantastischer Literatur, eine Parabel über
uns, über unsere heutige Befindlichkeit - mit einem Schwerpunkt auf
moralisch-ethischem Sektor.
Gewiß, man könnte auch an diesem Buch Schwächen in der Konzeption
entdecken, sicher haben die Brauns (wie übrigens jeder Autor) ihre
Grenzen, die sie im vorliegenden Werk nicht überschreiten. Dazu würde
ich die unterschwellige Technologiefeindlichkeit, das sture Beharren auf
klassisch-humanistischen Werten, also eine gewisse Schwarzweißmalerei
zählen. Der Rezensent ist weit davon entfernt, eine andere Haltung
zu den angesprochenen Problemen einzunehmen, jedoch in einer sich dynamisch
entwickelnden Welt bleibt das ständige Hinterfragen der eigenen Position,
die Suche von Alternativen jenseits von "das ist gut - das ist böse",
die einzige Möglichkeit, etwas bewirken, etwas verändern zu wollen.
Die Brauns waren immer die großen Mahner der DDR-Science-Fiction,
diejenigen, welche dem Menschen Vorrang vor allem anderen geben, die seine
Zwänge und Nöte in den durchbürokratisierten Industriegesellschaften
schildern. Als solche haben sie sich in diesem Buch wiederum bestätigt.